22. Juni 2023

Warum du deine Gefühle fühlen solltest (und wie du das lernst)

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Ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage:
Wir leben in einer ziemlich verkopften Gesellschaft.

Gefühle zu fühlen, spielt da leider oft keine große Rolle. Wird manchmal sogar aktiv weggeschoben und unterdrückt. Viele Menschen haben daher riesengroße Schwierigkeiten, ihre Gefühle wirklich zu spüren und zuzulassen.

Warum das aber wichtig für dich und dein Nervensystem ist und wie du wieder Zugang zu deinen Gefühlen findest, zeige ich dir in diesem Blogartikel.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Gefühlen und Emotionen?

Die Begriffe „Gefühl“ und „Emotion“ werden oft synonym verwendet. Ich unterscheide hier aber ganz bewusst, denn streng genommen bedeuten sie etwas Unterschiedliches.

  • Gefühl: Ein Gefühl ist die rein körperliche Empfindung. In deinem Körper und Nervensystem wird etwas ausgelöst, was du spüren kannst (zum Beispiel Enge im Brustkorb). Diese körperliche Reaktion heißt auch primäres Gefühl, weil es die unmittelbare Reaktion auf einen äußeren Reiz oder eine Situation ist.
  • Emotion: Eine Emotion ist die körperliche Empfindung verknüpft mit einer Geschichte. Wenn du also etwas in deinem Körper wahrnimmst (wie einen beschleunigten Herzschlag), dann kommt der Kopf dazu und interpretiert. Je nachdem, ob etwas absolut großartig war oder komplett schiefgegangen ist, als du beim ltzten Mal diese körperlichen Empfindungen hattest, prägt das deine Erinnerung.

Das heißt, das Primärgefühl ist die Antwort des Nervensystems auf das, was passiert. Die Emotion ist die Interpretation zu dem, was passiert. Die füttert sich wieder zurück ins körperliche Empfinden, sodass permanent Feedbackschleifen entstehen. Diese Feedbackschleifen sind das Sekundärgefühl.



Warum du verlernt hast, deine Gefühle zu fühlen

Wenn es dir schwer fällt, deine Gefühle zu fühlen und zu deuten, kann das verschiedene Gründe haben.


1. Gefühle sind nicht zum Fühlen da

Evolutionsbedingt sind Gefühle erstmal gar nicht zum Fühlen da, sondern das Signal, dass du dich entweder auf etwas zubewegen sollst, wenn es angenehm erscheint (das Belohnungssystem wird aktiv und du willst mehr davon). Oder du sollst dich von etwas wegbewegen, wenn es unangenehm ist (das Gefahrensystem wird aktiv und du willst weniger davon).

Stell dir mal folgende Situation vor:

Du stehst einem zähnefletschenden Säbelzahntiger gegenüber.
Dein Körper reagiert hier höchstwahrscheinlich mit Stressempfindungen.
Beschleunigter Herzschlag.
Hitzewallungen.
Angespannte Muskulatur.
Vielleicht ein flaues Gefühl im Magen.

Solltest du in diesem Moment wirklich innehalten und deine Gefühle fühlen?
Dir so richtig Zeit nehmen, zu spüren, was in dir vor sich geht – und dich am Ende vielleicht auch zu fragen, was dir das alles sagen will?

Nein!
Natürlich nicht!
Jetzt wäre es absolut tödlich, dir die Zeit zum “Gefühle fühlen” zu nehmen.

Heute gibt es zwar keine Säbelzahntiger mehr, aber immer noch genug Situationen, in denen eine schnelle, spontane Reaktion wichtig ist.


2. Gefühle werden als Schwäche gesehen

Bei der Sozialisierung kommen Gefühle und Emotionen nicht gut weg. Menschen wachsen in einem anderen Umfeld auf und sind unterschiedlich sozialisiert. Wenn du Gefühle zeigst, giltst du vielleicht schnell als irrational, gefühlsduselig oder zu emotional.

Vielleicht kennst du Phrasen wie:
Ein Indianer kennt keinen Schmerz.
Big girls don’t cry.
Du musst jetzt stark oder tapfer sein.

Das sind alles Sätze, die Kindern sehr früh beibringen, dass Gefühle und damit einhergehende Reaktionen (wie weinen) zu zeigen, eine Schwäche ist. Gefühle zu verstecken, ist dagegen eine Stärke.

Wenn du Gefühle nicht zeigen sollst, spaltet dein Körper sie aber irgendwann ab, damit du sie nicht mehr wahrnimmst.

Du kannst das Prinzip auch umkehren. Ich geb dir ein Beispiel, um das zu verdeutlichen: Ein Kind möchte gern zeigen, dass es singen kann. Es bekommt Aufmerksamkeit. Das ist erstmal eine positive Empfindung für alle.

Wenn aber ein Erwachsener zu dem Kind sagt, es soll nicht immer so laut und auffällig sein, schlägt dieses angenehme Gefühl in Scham um. Das ist dann nicht mehr angenehm. Ab sofort hat dieses Kind „Aufmerksamkeit kriegen“ mit unangenehmen Empfindungen verknüpft und plötzlich ist das etwas, was das Gefahrensystem aktiviert. Das Kind wird dieses Verhalten in Zukunft wahrscheinlich vermeiden.

 

Was passiert, wenn du aufhörst, deine Gefühle zu fühlen

Wenn du deine Emotionen nicht mehr fühlst, verlierst du die Verbindung zu dir selbst.
Vielleicht spürst du in manchen Situationen, dass da etwas ist, was dir grad nicht so guttut.

Aber anstatt das bewusst wahrzunehmen, setzt sofort der Verdrängungsmechanismus bei dir ein. Du lässt deine Gefühle dann nicht zu und flüchtest dich vielleicht in Süchte wie Alkohol, Drogen oder Essen.

Oder du merkst gar nicht, wie sehr sich deine Emotionen und Gefühle schon angestaut haben und du explodierst irgendwann völlig ungefiltert und wie ferngesteuert.
Aber das ist kein bewusstes Fühlen.



Warum es sinnvoll ist zu lernen, deine körperlichen Empfindungen und Emotionen bewusst wahrzunehmen

In einer Gefahrensituation geht es um eine schnelle und reflexartige Handlung: Du hast nicht viel Zeit zu analysieren, überlegen oder den Gefühlen Raum zu geben. Du musst unmittelbar handeln, um die Situation zu überleben. Damit sind Gefühle evolutionsbedingt nicht auf langfristige Ziele ausgelegt.

Angenommen, du bekommst auf einen geposteten Beitrag einen blöden Kommentar. Das fühlt sich nicht gut für dich an und um diese Situation zu vermeiden, postest du ab sofort nichts mehr. Wenn du aber in deinem Business langfristig erfolgreich sein willst, musst du deine Sichtbarkeit und Reichweite erhöhen. Wenn du deine Gefühle also nicht bewusst wahrnimmst und sie blind das Ruder übernehmen lässt, sabotierst du dich und deinen Erfolg.

Dazu kommt, dass diese erste Empfindung häufig eingefärbt ist von früheren Erlebnissen. Wenn du direkt auf das reagierst, was dir grad nicht gefällt, dann übersiehst du, dass die Situation jetzt vielleicht eine andere ist und du einfach nur blind reagierst, statt zu überlegen, was da grad passiert.

Das lernst du erst, wenn du alle deine Gefühle – die angenehmen und unangenehmen – spürst und zulässt.



Wie du wieder lernst, deine Gefühle zu fühlen

Bewusstes Fühlen ist eine Fähigkeit, die nicht in der Natur vorkommt (weil von der Evolution nicht gebraucht).

Du kannst sie aber definitiv lernen:
Gefühle zu spüren, kannst du wie einen Muskel trainieren. Je häufiger du das machst, desto einfacher fällt es dir, deine Gefühle zuzulassen und sie nicht mehr zu deckeln.

Oft ist die erste Empfindung, die du spürst, eine Maskierung von etwas anderem. Zum Beispiel kannst du mit Wut Hilflosigkeit oder Traurigkeit maskieren. Du solltest daher die Wut erst einmal wie eine Welle abebben lassen, um dann zu schauen:
Was verbirgt sich dahinter?

Wenn du lernen willst, deine Gefühle wieder mehr zu fühlen, ist der erste Schritt immer, die Gefühle im Körper zu lokalisieren und neutral zu benennen, was da passiert:

Der Hals wird enger.
Der Herzschlag geht hoch.
Die Atmung beschleunigt sich.

Hilfreich kann sein, wenn du dich dabei auf einzelne Körperteile konzentrierst und nicht auf den gesamten Körper.

Ganz wichtig: Nicht bewerten, sondern erst einmal nur wahrnehmen. Du schaust hier nicht, was könnte dahinterstecken und warum ist das so. Denn sonst verpasst du die erste Empfindung. Erst wenn die Welle abgeebbt ist, guckst du, was darunter liegt.

In der Psychologie heißt es, wenn du einem Gefühl 90 Sekunden uneingeschränkt deine Aufmerksamkeit gibst, ohne zu interpretieren, dann löst sich die Verknüpfung von Geschichte und Empfindung auf.



3 einfache Übungen, um dein Nervensystem zu entspannen

Wenn du in heller Aufregung bist und dein Körper in voller Alarmbereitschaft, ist es natürlich schwierig, dir Raum für bewusstes Fühlen zu nehmen. Es gibt aber verschiedene Übungen und Techniken, die dir helfen können, dein Nervensystem zu entspannen:

Orientierungsübungen: Dabei konzentrierst du dich auf das Hier und Jetzt. Was kannst du sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken? Ohne zu beurteilen oder bewerten.

Bewusste Atmung / Breathwork: Den Atem kannst du bewusst steuern und verändern. Durch bestimmte Atemtechniken lässt sich dein autonomes Nervensystem beeinflussen, entspannen und regulieren.

Bewegung: Je nachdem, wie gestresst du bist, kann es sein, dass du die Stressreaktion erst mal wieder "deaktivieren" musst. Das gelingt vielen am besten durch Sport und Bewegung.



Fazit: Nimm dir die Zeit, deine Gefühle zu fühlen

Obwohl Gefühle von Natur aus nicht dafür gedacht sind, dass du sie fühlst und du sie vielleicht durch deine Erziehung und Sozialisierung auch nicht unbedingt wertschätzt, ist es sinnvoll, ihnen Raum zu geben. Besonders, wenn du längerfristige Ziele verfolgen, etwas planen und – statt auf Autopilot – ins bewusste Handeln kommen willst.

 
Wenn du noch tiefer in das Thema „Gefühle fühlen“ eintauchen möchtest, hör dir gern auch folgende Podcast-Episoden an:

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